Der stationäre Einzelhandel steht vor großen Herausforderungen. Aber nicht nur in Innenstädten wird es für die Geschäfte immer schwieriger Kunden zufriedenzustellen und zu halten, auch Shoppingcenter müssen sich immer wieder neu erfinden. Die Strategie in den letzten 20 Jahren lautete - Neuer, größer, mehr Geschäfte. Doch das ist nicht mehr ausreichend. Gründe für den Wandel gibt es viele – Corona-Krise, wachsende Digitalisierung, steigender Onlinehandel, schwächelnde Infrastruktur, demografischer Wandel und auf alle Faktoren muss eingegangen werden. Besonders sollten aber die Kundenwünsche berücksichtig werden. Mit dem günstigsten Angebot kann man nämlich schon lange nicht mehr locken.
Alle klagen über rückläufige Zahlen und besonders der stationäre Einzelhandel ist davon betroffen. Waren vor 30 Jahren noch Shoppingcenter die größte Konkurrenz für Geschäfte und Kaufhauskonzepte in Innenstädten, sind die Gründe für den Konsumrückgang und damit das Einzelhandelssterben heute erheblich vielschichtiger.
Warum schwächelt der Einzelhandel?
Allen voran wird immer gerne der Onlinehandel genannt. Das ist auch durchaus richtig, denn im Jahr 2022 machte der E-Commerce 13,5 Prozent des Einzelhandelsumsatzes aus. Die Gründe fürs Onlineshoppen sind ebenso vielfältig. Den Käufern steht ein riesiges, weltweites Sortiment zur Verfügung, das 24/7 angeboten wird.
Dank niedrigerer Kosten, können Waren online meist auch günstiger angeboten werden als im stationären Handel. Die Lieblingsstücke können einfach so nebenbei ausgesucht und direkt nach Hause geliefert werden, was für den Käufer eine erhebliche Zeitersparnis bedeutet. Nicht zuletzt hat auch die Pandemie in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass die Onlinekäufe immens gestiegen sind und viele Läden in die Knie gezwungen hat. Das hat nicht nur kleine, individuelle Boutiquen, sondern auch die Geschäfte in Innenstädten und in den Shoppingcentern betroffen.
Und diese haben mit zusätzlichen Herausforderungen zu kämpfen, denn laut Shoppingcenter-Betreiber ECE ist der Markt gesättigt. Nach Aussage des EHI Retail Institute gibt es in Deutschland aktuell 534 Center und weitere 15 sind in Planung. Hinzu kommt aktuell die allgemein angespannte Wirtschaftslage – steigende Preise, die hohe Inflationsrate, da sitzt das Geld nicht mehr so locker. Die Deutschen sind sparsamer geworden, denn es können auch zusätzliche Kosten unverhofft auftreten, wie im Winter 2022/23 die immens gestiegenen Heizkosten, die viele auch in finanzielle Nöte gebracht haben.
Nicht zuletzt macht sich auch hier der demographische Wandel bemerkbar. Die Generationen 50+ sind noch sehr vertraut mit dem herkömmlichen Einkaufsverhalten. Ziel ist der Besitz, man will zeigen, was man hat. Mein Schmuck, mein Auto, mein Haus – Statussymbole auf die die jüngeren Generationen nicht mehr im selben Maße Wert legen. Diese streben nach immateriellen Werten, Erlebnissen und Erfahrungsaustausch.
Diese immateriellen Werte müssen Shoppingcenter, mit dem materiellen Angebot vor Ort verknüpfen, um attraktiv zu bleiben, denn laut einer Studie von pwc (PriceWaterhouseCoopers) sind Shoppingcenter in der altbekannten Weise nicht mehr zukunftsfähig, sondern müssen sich neu erfinden, um zu überleben.
Was Kunden wünschen
Entscheidend ist, die Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Doch was stellt sich der Kunde der Zukunft vor? Zeit sinnvoll, wertvoll nutzen, positive Erfahrungen mit dem Einkauf verbinden, das sind die meistgenannten Kundenbedürfnisse. Es müssen also Anlässe, Ereignisse geschaffen werden, die der Onlinehandel nicht erfüllen kann.
32 Prozent der in der pwc-Studie befragten Kunden gaben an, dass sie gerne Freizeit- und Unterhaltungsangebote nutzen würden, aber nicht genügend angeboten wird. Die Zukunft der Shoppingcenter liegt in der Kombination der Erfüllung der Bedürfnisse.
Es muss eine attraktive Shopping-Umgebung geschaffen werden, die mit Entertainment, Gastronomie, Arbeit, Leben sowie Gesundheit und Wohlbefinden kombiniert werden kann. Der Kunde wird gelockt und dazu gebracht zu bleiben, denn mehrere Bedürfnisse können an einem Ort befriedigt werden. Workspaces bieten Platz zum Arbeiten, die Kinder sind währenddessen in der integrierten Kita untergebracht, von der man sie nach einem Workout abholt und gemeinsam mit Freunden nach dem Besuch im Spieleparadies ein gesundes Abendessen in einem der zahlreichen gastronomischen Angebote verzehren kann.
Eine Utopie? Nein! Einen guten Weg in diese Richtung beschreiten bereits die Skandinavier in Malmö. Einkaufen, arbeiten und leben, alles in einem Quarree miteinander verbunden, das ist die Idee hinter dem architektonisch beeindruckenden Gebäudekomplex „Emporia“ vom schwedischen Stararchitekten Gert Wingårdh. Neben bekannten Einkaufsketten locken individuelle Designerlabels, Gastronomie und Kunst, die im gesamten Center zu bestaunen ist.
Weitere Bürogebäude, kombiniert mit Wohnraum, sollen den Stadtteil, rund um den Bahnhof Hyllie noch attraktiver machen, denn Entertainment ist mit dem Dachgarten des Emphoria, mit der daneben liegenden Malmöer Veranstaltungshalle und dem Messegelände bereits gegeben.
Neue Nutzungskonzepte hauchen neues Leben ein
Doch nicht alles kann neu gebaut und konzipiert werden. Bestehende Objekte müssen repositioniert und wiederbelebt werden. Abwechslung ist gefragt zum Beispiel durch umbaubare Flächen für Pop Up-Stores und die Vernetzung von digitalem und analogem Shoppingerlebnis. Die Zukunft können auch integrierte „Lifestyle Hubs“ sein, die Community Events, Coworking Spaces und Supper Clubs an einem Ort vereinen. Auf jeden Fall ist ein besserer Mix des Angebots und eine deutliche Steigerung des gastronomischen sowie des Freizeitangebots von Kunden gefragt. Laut der pwc-Studie kann dies sogar ausschlaggebend für die Wahl des Einkaufscenters sein. Eine klare Positionierung, wofür das Center steht, mit eigenem Storytelling und Uniqueness kann die Zukunft sichern. Das kann Kunst, Kultur oder auch die Umnutzung freier Ladenflächen für Praxen, Wellnessoasen oder Fitnesscenter sein.
Auch die Marketingforscher von A.T. Kearney, einer der größten Unternehmensberatungsfirmen weltweit, haben sich mit zukunftsträchtigen Konzepten für Shoppingcenter beschäftigt, die in zehn Jahren vielleicht schon keine Utopie mehr sind.
Sogenannte „Destination Center“ haben eine besondere Attraktion, wie Themenparks, Indoor-Skifahren oder besondere Kulturstätten als Mittelpunkt, die auch zu einem mehrtägigen Aufenthalt verleiten. Die Attraktivität wird dann durch Gastronomie, Hotels und wechselnde Pop-up-Stores zusätzlich gesteigert.
Die sogenannten „Value Center“ haben den Mehrwert der Produkte im Mittelpunkt, auf den jüngere Zielgruppen meist nicht mehr verzichten wollen. Regionalität, Nachhaltigkeit durch Upcycling oder Lebensphilosophien wie vegane Ernährung bilden hier den Rahmen für Produkte und andere Angebote, wie Vorträge und Ausstellungen, in dem sich Gleichgesinnte gerne zusammenfinden.
Centren in denen verschiedene Angebote einen Demographie-spezifischen Mix aus Handel, Restaurants, Unterhaltung und Dienstleistung bieten, werden unter „Retaildential Spaces“ zusammengefasst – „Retail“ für den Einzelhandel und „residential“ für Wohnbereich. Das Angebot in diesen Centern bietet also alles, um darin zu leben, abgestimmt auf Hipster, junge Familien oder Senioren. Dieses Konzept wurde in Japan in der AEON Mall bereits umgesetzt: Alle Angebote und Serviceleistungen wurden genau auf die ältere Zielgruppe abgestimmt: Seniorenbetreuung, Apotheken und ein Gesundheitszentrum sind komplett in das Center integriert.
Teil der Zukunft kann man in den „Innovation Centern“ sein. Als Kunde, in dem man Produkte und Angebote vorab testen kann und somit ein Vorreiter wird und als Unternehmen, das mit den dadurch gewonnen Daten neue Trends setzen kann. Anbieter dieser Center sind Anthropologen, Kulturpsychologen und Mall-Ethnographen von denen das Kundenverhalten analysiert und den Unternehmen angeboten wird.
Diese neuen Konzepte finden sich dann nicht mehr unbedingt in komplett neuen Einkaufszentren, sondern bestehende Objekte werden weiterentwickelt. Laut der Betreibergruppe ECE ist der Markt in Deutschland gesättigt und es gibt keine neuen, geeigneten, erfolgversprechenden Standorte mehr. Daher investiert die Gruppe in Bestand, denn für sie ist das Einkaufszentrum immer noch zukunftsfähig. Als „flexible Hüllen“ seien die die Center mit stetigen Investitionen bestens geeignet mit dem steigenden Online-Handel mitzuhalten und sich an verändernde Kundenwünsche anzupassen.
Hygiene als ausschlaggebender Wohlfühlfaktor
Ein weiterer, wichtiger Aspekt, nicht erst seit der Pandemie, der das Wohlbefinden von Kunden steigern kann, ist Hygiene. Und, dass sich Investitionen in diesen Bereich des Facility Managements rechnen, zeigen zwei Beispiele. Zum einen würden sich laut der pwc-Studie 32 Prozent der Befragten eher für ein Einkaufszentrum, in dem die Toilettennutzung nichts kostet, entscheiden.
Zum anderen bedeutet Hygiene auch erhöhte Sicherheit im Shoppingcenter. Ein Bereich, an den in diesem Zusammenhang vielleicht nicht sofort gedacht wird, ist die Hygiene auf Rolltreppen, genauer deren Handläufe. Denn viele Nutzer halten sich aus Angst vor schädlichen Keimen nicht an den Handläufen fest, was allerdings schwere Verletzungen zur Folge haben kann, wenn es zu einem Vorfall auf der Rolltreppe kommt, wie beispielsweise Stolpern oder sogar einem Notstopp.
Doch Maßnahmen, die ins Facility Management fallen sind meist schwer messbar und zusätzliche Investitionen daher nicht immer einfach einzuplanen. Wie sehr sich aber genau dieser finanzielle Einsatz lohnen kann und damit auch messbar wird, zeigt die Doktorarbeit von Dr. Christian Schlicht. Der Experte für Corporate Real Estate Management (CREM) und Facility Management (FM) hat in seiner damaligen Position bei der ECE Group im Phoenix Center in Hamburg-Harburg eine Hygienemaßnahme eingeführt, die die Sicherheit im Center und gleichzeitig die Zufriedenheit der Kunden und die positive Wahrnehmung deutlich gesteigert hat. Das wiederum hat den Effekt der Investition in diesen Bereich des Facility Managements messbar und somit in gewisser Weise vergleichbar mit z.B. Marketingmaßnahmen gemacht.
In die Rolltreppen wurde das UVC-Desinfektionsmoduls ESCALITE eingebaut, das bis zu 99,99 Prozent aller Keime auf den Handläufen kontinuierlich eliminiert. Mit entsprechenden Hinweisen wurden die Centerkunden darauf aufmerksam gemacht und zu verschiedenen Eindrücken befragt. Im Vergleich zur Befragung vor dem Einbau, konnte das Sauberkeitsempfinden von 67 auf 86 Prozent, der Eindruck eines gepflegten Centers von 73 auf 90 Prozent und das Gesamtimage von 68 auf 81 Prozent gesteigert werden.
Fazit
Betreiber müssen sich, beziehungsweise ihre Center, neu erfinden. Reiner Konsum zieht schon lange nicht mehr, sondern holistische, auf die Zielgruppe abgestimmte Konzepte müssen geschaffen werden, um das Überleben des Einzelhandels zu sichern. Nicht nur im Shopping Center, sondern auch in den Innenstädten muss die Attraktivität der Lage durch einen individualisierten Angebotsmix gesteigert werden.
Quellen:
PWC – Sind Shoppingcenter noch zukunftsfähig?
https://www.de.kearney.com/media-center/article/-/insights/einkaufszentren-der-zukunft-austausch-innovation-werte-und-wohnen-im-mittelpunkt[KO1] [TU2]
Dr. Christian Schlicht, BSc, MBA, CUS City University of Seattle, VSM: Methods of measuring the added value of Facility Management for generating competitive advantages
Fotocredit: UVIS, Tord-Rikard Söderström & Perry Nordeng
Veröffentlicht am: 04.01.2024
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